AGV vs AMR: Spurgebunden oder autonom? Wer das Rennen macht

2022-10-26 13:44:00 By : Ms. Jessica Fu

In der Intralogistik gehören AGVs zum Alltag. Doch autonome mobile Roboter sind im Kommen. Ob AMR wirklich besser sind, zeigt der jeweilige Einsatzbereich.

Autonomous Mobile Robots kommen vermehrt zum Einsatz. Vermutlich werden künftig immer größere Flotten von AMR in einem Verbund entstehen - alleine schon aufgrund des Fachkräftemangels in der Intralogistik. (Bild: MIR)

Automatische Transportsysteme sind aus der Produktions- und Lagerlogistik nicht mehr wegzudenken. Wer seine Intralogistik automatisieren will, setzt wahlweise auf Automated Guided Vehicles (AGV) oder Autonomous Mobile Robots (AMR). Doch was genau ist der Unterschied im 'Material Handling'? Sticht der neuere 'mobile robot' das AGV aus?

"Die Transportsysteme, die aus der Historie bekannt sind, waren spurgebunden und somit relativ starr. Meist waren sie spezifisch für einzelne Applikationen vorgesehen und eher wenig standardisiert. Der Fortschritt in der Automatisierung lag aber größtenteils eben in der Standardisierung", sagt Jörg Faber, Sales Director DACH & Benelux bei Mobile Industrial Robots.

Die Weiterentwicklung bei der Computing-Leistung seit etwa zehn Jahren sei ein Schlüssel für die Nutzung eines AMR. "Weiterhin haben wir einen dramatischen Fortschritt der Sensorik und der Software in diesem Bereich gesehen", ergänzt Faber, "wodurch die Voraussetzungen geschaffen waren, ein AMR serienreif zu entwickeln."

"In der Intralogistik herrscht Fachkräftemangel, sie kämpft um Personal. Somit haben wir extrem viel Potenzial durch Automatisierung wie eben durch ein AMR", sagt Jörg Faber, Sales Director DACH & Benelux bei Mobile Industrial Robots.

"Wichtig ist dabei, dass wir Flexibilität mitbringen, weil wir für die Navigation keine spezielle Infrastruktur brauchen. Ein Autonomous Mobile Robot kann anhand seiner OnBoard-Sensorik das Gebäude kartieren und sich nachfolgend an Landmarken wie Wänden oder Säulen orientieren und nicht an lasergestützten oder barcodegestützten Systemen", betont Faber.

Diese installationsfreie und autonome Orientierungsmöglichkeit in Gebäuden habe eine Flexibilität in der Nutzung der Fahrzeuge geschaffen, wie es bei Standard-AGVs nicht möglich sei.

"Das heißt nicht, dass ein autonomer mobiler Roboter ein kompletter Ersatz für ein AGV ist, denn für beide Systeme gibt es Einsatzgründe. Beispielsweise liegt die maximale Beladung unseres AMR aktuell bei 1,35 Tonnen", schränkt Faber ein. Bei zwei oder mehr Tonnen mache es sehr viel Sinn, ein AGV zu nutzen – im Zweifel sogar hinter Schutzzäunen. Bei größerer Masse benötige es schließlich längere Bremswege.

Hinzu kommt laut Faber, dass ein AMR mit Blick auf die Nutzung der Fahrräume kollaborativ ist, denn er kann sich Arbeitsräume mit anderen Verkehrsteilnehmern teilen. So könne ein Autonomous Mobile Robot Hindernisse selbständig umfahren. "Will man größten Durchsatz erzielen – also viel Material schnell bewegen – dann kann ein AGV oder eine konventionelle Förderstrecke die bessere Lösung sein", so Faber.

Man erkaufe sich den Durchsatz letztlich mit der Frage der Flexibilität. Wenn die Liefermenge schwanke, spreche einiges für ein AMR, da er flexibel und skalierbar sei.

Max Beutelspacher, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA vergleicht die beiden Systeme anhand von sieben Kriterien miteinander. Hier folgt seine Einschätzung:

Seine Sicht auf die Dinge gibt auch CTO Rodrigo Arias von ek robotics wieder: "Welches der beiden Transportsysteme in der automatisierten Intralogistik eines Unternehmens zum Einsatz kommt, ist vor allem vom Zweck und dem Anwendungsbereich abhängig. In der Regel gilt, dass AGVs die beste Wahl sind, wenn das Wegenetz einer Produktionsanlage komplex ist und viele Schnittstellen vorhanden sind."

Anders ausgedrückt seien AGVs die passendere Lösung, sobald sich viele Transportroboter untereinander und auch mit anderen Fahrzeugen arrangieren müssten. "Ab einer bestimmten Fahrzeuggröße und Gesamtgewicht macht der Einsatz von AMRs keinen Sinn mehr, da für solche Fahrzeuge vorhersehbare Abläufe und Fahrbewegungen gewünscht sind", ergänzt Arias. "Eine scharfe Grenze bei der Traglast gibt es hierbei nicht."

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Ek robotics will zudem mehr Flexibilität liefern, indem der Hersteller beide Technologiewelten auf einer  Technologieplattform - X Move genannt - vereint. Diese kann laut Arias wahlweise als AMR oder AGV eingesetzt werden. Die technischen Unterschiede zwischen AGVs und AMRs seien nicht so groß, wie von manchen AMR-Herstellern behauptet werde. In Wirklichkeit konzentrierten sich beide Systeme auf eine bestimmte Navigationstechnologie und die Art und Weise, wie die Integration durchgeführt wird.

"Die Hardware der Roboter unterscheidet sich kaum – Antriebs-, Batterie-, Steuerungs- und Sicherheitstechnik ist im Grunde identisch und kann sowohl für AGVs als auch für AMRs verwendet werden", beschreibt Arias. "Lediglich bei der Sensorik verfügen AMR häufiger als AGV über zusätzliche 3D-Kameras zur Erfassung der Umgebung."

"Wir wollen mehr Flexibilität liefern, indem wir beide Technologiewelten auf einer Technologieplattform - X Move genannt - vereinen. Diese kann wahlweise als AMR oder AGV eingesetzt werden", sagt Rodrigo Arias, CTO bei ek robotics.

An der Hardware werde beim Wechsel zwischen den Welten nichts verändert. Der X Move habe alle Komponenten standardmäßig eingebaut, um als AGV und AMR zu fungieren. "Der Wechsel zwischen beiden Technologien erfolgt allein per Software, beide Systeme können in der gleichen Anwendung nebeneinander bestehen bleiben. Zusätzlich werden bei einem Wechsel von AMR zu AGV das Fahrkurslayout und die Verkehrsregelung erstellt, die Navigationsart bleibt gleich", erklärt Arias.

Das Gleiche werde beim Wechsel von AGV zu AMR gemacht, also die Kartierung, das Erstellen der Stationen, die Fahrwegsdefinitionen und dergleichen. Auf die Frage, ob der Wechsel zwischen einem AMR und einem AGV auch vom Anwender vorgenommen werden könne, antwortet Arias folgendermaßen: "Das ist stark abhängig von der Anlagenkomplexität, aber möglich. Schon heute schulen wir unsere Kunden, um AGV-Layouts und Leitsysteme selbständig zu erstellen."

Faber sieht zusätzlich weitere Vorteile eines AMR: "In der Intralogistik herrscht Fachkräftemangel, sie kämpft um Personal. Somit haben wir extrem viel Potenzial durch Automatisierung wie eben durch ein AMR.

Zudem ist laut Faber mit einem AMR ebenfalls bei den kleiner werdenden Losgrößen bis hin zu  Losgröße 1 Automatisierung möglich, wo es eine vernetzte Fertigung gibt. In der manuellen Arbeit würden diese Losgrößen zu einer riesigen Herausforderung. "Die Individualisierung und die Losgröße 1 sind weitere Gründe für die Automatisierung mit mobilen Fahrzeugen. Auch, weil sich derzeit die Geschäftsmodelle der Unternehmen mitunter dramatisch verändern", unterstreicht Faber.

Man denke an die Elektromobilität in der Automobilindustrie. Die Dynamik der Veränderung sei groß und flexible, skalierbare Systeme könnten dahingehend Antworten liefern.

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Nun gelte die Intralogistik als am wenigsten automatisierter Bereich der Produktion. Faber sieht auch hier viel Potenzial für AMR: "Ein Teil der Intralogistik wurde bisher nicht automatisiert, auch, weil es verkettete Montagelinien gibt. Wenn wir nun die Intralogistik komplett mitautomatisieren, dann kommen wir vielleicht wieder weg von den rein verketteten Montagelinien hin zu Inseln, die dann intralogistisch verbunden sind." Laut Faber lässt sich so auch eine vereinfachte Automatisierung und damit eine robustere Fertigung realisieren.

Auch das Thema Traceability - also die Nachverfolgung - komme durch die Automatisierung mit einem AMR zum Tragen. "Alles wird klarer und direkter, weil ich Fahraufträge an Fahrzeuge vergebe, die von einer übergeordneten Steuerung kommen und damit nachverfolgbar sind. In Pandemiezeiten ist es aktuell ein großes Thema, Waren zu lokalisieren, wo man mitunter seine Lieferketten und den aktuellen Status nicht genau kennt – bis in die Fabrik hinein."

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Faber sieht drei Gruppen von AMR: "Es sind erstens Fahrzeuge, die reine Horizontalförderer sind und Bauteile von A nach B transportieren. In der Regel nutzt man eine Flotte, die von einer Software gesteuert und optimiert wird."

Zweitens gebe es autonome Gabelstapler, die Platten vom Boden aufnehmen können, eine solche Entwicklung habe Mobile Industrial Robots gerade angekündigt. "Damit kann man zum Beispiel eine Palette, die auf dem Boden steht, aufnehmen und horizontal fördern", so Faber.

Die dritte Möglichkeit eines AMR bestehe darin, auch in einer Regalgasse zu arbeiten, um Paletten oder KLT-Boxen über mehrere Ebenen zu verbringen.

In Zukunft erwartet Faber, dass zunächst größere Flotten in einem Verbund entstehen – auch in bestehenden Werken. "Werden Produktionsstätten unter dem Gesichtspunkt von Industrie 4.0 neu geschaffen, dann bewegen sich Produkt und Material relativ frei im Raum der Fabrik. Das ist eine Vision, die sich bei der Planung mehr und mehr durchsetzt und zunehmend Anhänger findet", erläutert Faber.

Hierbei diene ein Autonomous Mobile Robot nicht nur zum Materialtransport, sondern auch als flexible, skalierbare und fahrbare Plattform im Produktentstehungsprozess.

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